Aus der Rede unseres Schulleiters Herrn Regenbrecht zum Festakt des 100-jährigen Schuljubiläums im Jahre 2005
Konsequenzen und Ausblick
Am Anfang hatte ich die Erwartung geweckt, dass der Rückblick zugleich einen Ausblick ermöglichen solle. In der Rückschau wird deutlich, was im ersten Jahrhundert seiner wechselvollen Geschichte überdauernde Wesenszüge des Abtei-Gymnasiums waren. Es ging um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erwartungen und staatlichen Autoritäten, um die Bestimmung der Rolle an einem Standort mit wechselvoller Geschichte. Es ging darum, zu prüfen, welche Impulse dabei wertvoll waren im Sinne einer katholischen freien Schule, was es auch abzuwehren galt an (durchaus verstehbaren) Wünschen und Begehrlichkeiten. Immer wurde dabei deutlich, dass sich eine freie Schule nicht staatlicher Gründung verdankt. Vielmehr müssen bürgerschaftliches Engagement, das entschlossene Handeln eines Trägers und die Bereitschaft und Fähigkeit aller in der Schule Handelnden zusammenwirken, um ein Bildungsprogramm überzeugend anzubieten. So ist auch die Übernahme der Schule in die Trägerschaft des Bistums Essen im Jahr 1962 nicht ein Verlust an Ortsnähe, sondern der Gewinn von Handlungsfähigkeit gewesen. Das besondere schulische Engagement der Prämonstratenser, die seit 1959 wieder in Hamborn leben und arbeiten, trug von Anfang an ebenfalls mit zur Verankerung des Abtei-Gymnasiums im Stadtteil bei. Dabei ist das Abtei-Gymnasium als Schule in freier Trägerschaft auch immer als Kontrast empfunden worden. Dies gilt auch heute, unbeschadet der rechtlichen und finanziellen Absicherung freier Schulen und ihrer Wertschätzung als Bereicherung des Bildungsangebotes. Zu den (in sich auch widersprüchlichen) Herausforderungen heute gehören:
und diese Aufzählung ist sicher keineswegs vollständig.
Nun muss sich das Bildungswesen als Ganzes diesen Herausforderungen stellen. Und die Diskussionen um die Strukturreform, die bereits getroffenen Entscheidungen wie Selbstständigkeit von Schule, Verkürzung der Schulzeit, Flexibilisierung von Schullaufbahnen, Maßnahmen zur Qualitätssicherung und vieles mehr zeigen, dass es eine breite öffentliche Diskussion um gute Schule gibt. Das ist auch gut so. Dieser Diskussion werden wir uns gerade als freie Schule stellen und sie engagiert mit führen müssen. Und - ich zitiere hier meinen Vorgänger (Hr. Steiffert) - "eine Reihe von Weichenstellungen hat unsere Schule hier gut positioniert. Innovationsbereitschaft, die Bereitschaft, neue Entwicklungen beherzt und zugleich besonnen aufzugreifen werden jedoch auch in der Zukunft vonnöten sein." Dazu gehört auch die Vergewisserung der eigenen Geschichte. Viele wertvolle Impulse können von außerhalb der Schule aufgegriffen werden, manches geht hoffentlich wie in der Vergangenheit aus dem Abtei-Gymnasium als Anregung und Vorbild an andere, auch öffentliche Schulen. Die Vielfalt der pädagogischen Bemühungen am Abtei-Gymnasium hier auch nur in einigen Beispielen vorzustellen, würde den mir gesetzten Rahmen sprengen; ich darf Sie daher neugierig machen auf unsere Festschrift, die Sie im Anschluss an diesen Festakt erhalten können. Der Druck dieser Festschrift wurde übrigens - wie auch viele andere Dinge an und mit dieser Schule - erst möglich durch die großzügige Unterstützung des Fördervereins sowie vieler Bürger und Geschäftsleute Hamborns und der weiteren Umgebung; auch hier wird deutlich, dass das bürgerschaftliche Engagement unverzichtbar für die Erhaltung des Freiraums der freien Schulen ist.
Aber nicht alle Entscheidungen können und werden aktuell gängig oder traditionsbewusst sein. Manches mag - auch in der Schule selbst - als gegen den Zeitgeist gerichtet empfunden werden. Ein Stück unzeitgemäßes Beharrungsvermögen, andererseits auch ein Gespür für erforderliche radikale, das heißt bis an die Wurzel des gängigen Selbstverständnisses gehende (Neu )Orientierungen gehören von Anfang an zum Profil des Abtei-Gymnasiums. Als bloße Wiederholung öffentlicher Schulen bräuchte es uns nicht, würden wir auch bei Eltern und Schülern, in Stadt und Umland, in der Bildungspolitik und in der interessierten Öffentlichkeit allenfalls als Exoten wahrgenommen.
Das Abtei-Gymnasium erfreut sich allerdings immer noch und immer mehr einer hohen Nachfrage, und es liegt an uns Heutigen, diese Resonanz zu nutzen und das damit ausgedrückte Vertrauen der Eltern und Schüler in die Leistungsfähigkeit unserer Schule zu rechtfertigen. Hundert Jahre Abtei-Gymnasium sind eine hohe Verpflichtung, und das damit erhaltene Erbe gilt es nicht nur zu erhalten, sondern verantwortlich weiter zu entwickeln.
Unser Schulprogramm benennt und beschreibt als Leitlinien unseres pädagogischen Selbstverständnisses die Glaubensorientierung und die Leistungsorientierung. Beide sind (nicht mehr oder noch immer nicht) zeitgemäß. Die in der gesellschaftlichen Diskussion über Bildung gängigen Vokabeln der Werteerziehung und der Bildungsstandards meinen Anderes, sie sind von gesellschaftlichen Notwendigkeiten her konzipiert, allenfalls von der Einsicht in die notwendige Mitarbeit des Einzelnen gefärbt. Wenn Sie die in unserem Schulprogramm dargelegten Ziele und Inhalte des Abtei-Gymnasiums betrachten, stellen Sie dagegen fest, dass der Einzelne, und zwar Schüler sowohl wie Eltern und Lehrer, Ausgangspunkt und zugleich Ziel der von uns angestrebten christlichen Erziehung sind.
Und so sei mir am Ende eine unzeitgemäße Betrachtung erlaubt. Im Gottesdienst haben wir von der Erwartung der Menschen gehört, das Heil, den Heiland selbst zu schauen. Es wird daher auch nicht ein Versprechen und schon gar nicht eine Garantie sein, die ich oder irgendjemand sonst Ihnen und uns geben könnte. Vielmehr ist es bei aller Dankbarkeit für das, was bisher erreicht wurde, zum Schluss die Einsicht, dass all unser Bemühen, so erfolgreich es auch hoffentlich ist, vorläufig bleibt; denn was der Herr zu Marta spricht, das gilt auch uns: "Du machst dir viele Sorgen und Mühen, aber nur eines ist notwendig."(Lk 10, 41f.) Dies passt nicht so recht zum Alltags-Gerede von Effizienz, Leistung und Erfolg; aber es ist uns Menschen gemäß, die wir immer wieder nur versuchen können, das Unsere zu tun. Ich wünsche der Schulgemeinschaft des Abtei-Gymnasiums und jedem Einzelnen von Ihnen, dass in aller Mühe des Alltags dieses eine Notwendige immer wieder aufscheint und so unser Stückwerk einbindet in das je größere Gelingen Gottes. Und ich wünsche mir für das Abtei-Gymnasium, dass es einen Ort dieser Erinnerung und dieses Widerspruchs bietet, damit gerade so ein pädagogisches Klima der Wertschätzung, der Ermunterung und der Herausforderung zum Übersteigen der eigenen Grenzen gefördert wird.